Kollektive Identitäten im modernen Iran : Die Verfassungsrevolution (1906–1911) als historischer Kristallisationspunkt von Kategorisierung, Radikalisierung und Toleranz
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bildete das iranische Mutterland seine kollektive Identität durch die Konstruktion einer in sich geschlossenen, gemeinsamen nationalen Kultur. Die Selbstkategorisierung erfolgte in Form einer erstrebten kulturellen Homogenität, die abgesehen von Sprache und ethnischer Zugehörigkeit durch den zwölferschiitischen Islam erreicht werden sollte. Zur Eigengruppe gehörten demzufolge alle Zwölferschiiten, während die Angehörigen anderer islamischer Zweige bzw. anderer Religionen zu Fremdgruppen wurden. Trotz dieser Kategorisierungen kam es während der Verfassungsrevolution, einer Zeit von Radikalisierung, politischen und religiösen Zuspitzungen, von Verfolgung, Vertreibung und Massakern, auch zu Momenten von Respekt und Toleranz. Dem hier vorgestellten Projekt liegt das ›Ablehnung-Respekt-Modell der Toleranz‹ zugrunde, demzufolge Toleranz das Ergebnis von Ablehnung ist, die durch Respekt gezähmt wird. Respekt bezieht sich auf die Gleichheitsanerkennung andersartiger Gleicher. Unter Zuhilfenahme dieses Modells wird der Frage nachgegangen, wie das Zustandekommen erstaunlicher Allianzen während der iranischen Verfassungsrevolution (1906–1911) zu erklären ist. Im Zentrum der Untersuchung stehen vor allem solche Konstitutionalisten, die, obwohl schiitische Geistliche, wiederholt der ›Ketzerei‹ und des ›Abfalls‹ vom Glauben bezichtigt wurden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die ihnen entgegengebrachte Ablehnung in jedem Fall durch Respekt gezähmt wurde und dadurch zu Toleranz führte, oder ob es sich nicht in bestimmten Fällen eher um eine zeitweilige Tolerierung abgelehnter Anderer als Mittel zum Zweck handelte
Since the end of the 19th century, the Iranian motherland formed its collective identity by constructing a self-contained, shared national culture. This self-categorisation took the form of a desired cultural homogeneity, which, apart from language and ethnicity, was to be achieved through Twelver Shiite Islam. Accordingly, all Twelver Shiites belonged to the in-group, while members of other Islamic branches or other religions became out-groups. Despite these categorisations, the period of radicalisation, political and religious escalation, persecution, displacement and massacres during the Constitutional Revolution, it was also marked by moments of respect and tolerance. The project presented here is based on the ›disapproval-respect model of tolerance‹, according to which tolerance is the result of disapproval tamed by respect. Respect refers to the equality recognition of different equals. With the help of this model, the question of how the astonishing alliances that emerged during the Iranian Constitutional Revolution (1906–1911) can be explained is explored. The study focuses primarily on those constitutionalists who, despite being Shiite clerics, were repeatedly accused of ›heresy‹ and ›apostasy‹. In this context, the question also arises as to whether the disapproval shown to them was always tamed by respect and thus led to tolerance, or whether in certain cases it was not rather a temporary toleration of disapproved others as a means to an end.
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Die Schwierigkeit und Möglichkeit von Toleranz
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